29.06. – 20.07.2016 Jugend des Suhler DAV erstmalig zum Bergsteigen unterwegs im Kaukasus Luise Müller, Sophie Ziegler
Russland: Das größte Land der Welt, mit über 10 Zeitzonen und verschiedensten klimatischen Bedingungen und dem Kaukasus, ein etwa 1100 km langes Hochgebirge in Eurasien, dessen höchste Erhebung mit 5642 m ist. Der Elbrus ist das Ziel sieben hoch motivierter Jugendlicher und acht Erwachsener aus Suhl und Dresden, welche voller Vorfreude und großem Respekt am 29. Juni 2016 ihre Reise dahin antraten. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Moskau, welchen wir zum Geldwechsel nutzten, erreichten wir den kleinen Flughafen der Stadt Mineralnye Vody. Dort wartete bereits ein etwas in die Jahre gekommener Bus auf uns, dessen Fahrtüchtigkeit die meisten von uns zuerst anzweifelten und der uns einen kleinen Vorgeschmack auf das gab, was uns noch erwartete. Mit dem vollgeladenen Gefährt ging es zunächst zum Basislager „Ullu Tau“. Von einer langweiligen Fahrt konnte allerdings nicht die Rede sein, denn bereits mit einem Blick aus dem Fenster bekam man ein Gefühl von der Weite und einzigartigen Schönheit des Landes. Auch die größte Schlafmütze unter uns wurde auf der Bergstraße zum Basislager wachgerüttelt. Auf dieser ließen wir die Zivilisation hinter uns und fanden uns in einem malerischen Tal umgeben von riesigen Gebirgszügen wieder. Überwältigt von den zahlreichen Eindrücken und der langen Anreise gingen wir zeitig schlafen, denn am nächsten Morgen wartete unser erster Gipfel auf uns – der Pik Mestia-Tau (4130 m).
Frisch und voller Motivation starteten wir am darauffolgenden Tag unsere erste Tour. Um die nächste Ecke wurden wir jedoch durch das russische Militär ausgebremst und mussten uns einer akribischen Passkontrolle unterziehen, bei der wir versuchten, möglichst „harmlos“ auszusehen.
Der Aufstieg zu dem von uns anvisierten „Mestia“-Biwak auf 3000 m gestaltete sich sehr abwechslungsreich. Nach den tropischen Temperaturen im Tal sorgten eine erste abenteuerliche Flussüberquerung und ein kurzes Gewitter für Abkühlung. Nicht nur hier, sondern auch bei der Überquerung der Gletscher schöpften wir aus dem Erfahrungsschatz unserer Betreuer. Das Mestiabiwak wird gekrönt von einer recht typisch russischen Schutzhütte aus Blech. Hier trafen wir schon fast euphorisch nach anstrengenden Höhenmetern ein. Fast alle von uns fanden in dieser „Blechschachtel“ Platz für die folgende stürmische Nacht. Noch hatten nicht alle ihre Rucksäcke abgesetzt, da hörte man schon die ersten Rufe nach frischem Kaffee. Wie sollte es auch anders sein? ;-)
Für den darauf folgenden Gipfeltag planten wir die Abmarschzeit für 4 Uhr in der früh. Doch das Wetter wollte es anders und wir stapften erst fünf Stunden später den Berg hinauf. Nach anfänglichem Aufklaren wurde das Wetter jedoch, je höher wir kamen, wieder deutlich schlechter. Auf dem Mestia-Pass, an der Grenze zu Georgien, auf 3700 m blieb uns nur der Abstieg zurück zum Biwakplatz. Dieser erste Abstieg hatte etwas Besonderes für die unerfahrene Meute, die den Berg mehr abwärts rannte als ging. Bei dieser Gelegenheit übten wir den Umgang mit dem Eispickel, damit wir im Falle eines Falles die sogenannte Eispickel-Bremse fachgerecht anwenden können. Zurück am Biwakplatz räumten wir nach dem obligatorischen Kaffee alles wieder in die Rucksäcke und kehrten zum Basislager zurück. Wie fast jeden Abend trafen wir im kleinen кафе́ in geselliger Runde mit einem Kartenspiel und DEM russischen Getränk überhaupt zusammen.
Schon am nächsten Morgen brachen wir zu unserem nächsten Ziel auf. Wir stiegen zum ersten Biwak am Ullu Tau auf. Dort genossen wir die Sonne und den ein oder anderen Kaffee bevor unsere Truppe bis auf zwei Mann, Axel und Reinhardt, abstieg. Sie planten für die frühen Morgenstunden des nächsten Tages zum Gipfel des Ullu Tau aufzubrechen. Keinem von uns waren zu diesem Zeitpunkt die folgeschweren Konsequenzen dieser Entscheidung bewusst. Wie so oft in ihrem langjährigen Bergsteigerleben sind sie voller Freude in ihre Tour eingestiegen, kamen diesmal jedoch nicht unversehrt zurück.
Die beiden nächsten Tage waren im Tal von Regen und Nebel geprägt. Sehnsüchtig warteten wir auf die Rückkehr unserer beiden Bergfreunde, da wir nunmehr schnellst möglichst zum Fuße des Elbrus‘ umsetzen wollten. Die Wartezeit nutzten wir für Tagesausflüge in verschiedene Seitentäler, zum Erzählen, Lesen oder ganz einfach um die Haare zu waschen.
Die Zeit des Wartens auf Axel und Reinhardt wurde länger. Am Ende warteten wir vergebens. Es folgten Tage der Aufregung, denn am Ullu Tau ereignete sich ein Bergunglück. Als sich die Nebel lichteten, erblickte Jens hoch oben am Berg ein alpines Notsignal, das nur von unseren Freunden stammen konnte. Dank der erfahrenen Bergsteiger Jens und Klaus, welche intuitiv richtig handelten, begann noch vor Sonnenaufgang des nächsten Tages die Rettungsaktion, in die sowohl die russische Bergwacht als auch Teile unsere Gruppe involviert waren. Durch die Hilfe der Bergwacht und einer russlanddeutschen Besucherin namens Olga verlief die Kommunikation mit der russischen Bergwacht während Rettungsaktion besser als erwartet. So konnte die Rettung und der Transport von Reinhardt in das nächste Krankenhaus per Hubschauer organisiert werden. Von Axel fehlte jedoch jede Spur.
Noch benommen von den Ereignissen mussten wir Entscheidungen über den weiteren Verlauf unserer Reise treffen. Wir entschieden uns, so schnell wie möglich das Alplager zu verlassen und zu unserem Quartier in Asau am Fuße des Elbrus‘ zu wechseln. Nach diesen unvorhergesehenen Ereignissen wollten wir wieder schöne Augenblicke einfangen, um besonders für Axels Sohn Ludwig den Elbrus als positive Bergerfahrung erlebbar zu machen. Als wir am nächsten Morgen aufbrachen, waren alle Blicke auf den Berg gerichtet. Am Fuße des Elbrus angekommen genossen wir die neuen die Annehmlichkeiten eines Hotels mit Dusche, Wlan und Telefonverbindung. Die Gruppe rückte spürbar enger zusammen. Wir verbrachten jede Minute miteinander, gaben uns Halt und erlebten wieder gemeinsame Freude. Wie die meisten Bergsteiger, nutzten auch wir die Seilbahn, um uns einige Höhenmeter unangenehmen Aufstieg durch Schutt und Asche des Vulkanriesen zu ersparen. An der Bergstation der Seilbahn schnürten wir unsere Gamaschen und stiefelten vorbei an unzähligen langen und vor allem langsamen russischen Reisegruppen am Berg – so genannte „Gartenzäune“. Bis 4300 m steigen wir auf und machten im Vulkangestein großes Mittagessen. Wir waren in Topform! Das Wetter war perfekt. Trotzdem entschieden wir uns angesichts der jüngsten Ereignisse, nicht auf den Gipfel zu gehen. Wir eilten zur letzten Bahn hinab ins Tal. Abends aßen wir russische Spezialitäten und brachten so manche Rechnung der Kellnerinnen durcheinander.
Unsere Reisezeit näherte sich dem Ende. Am letzten Tag wanderten wir ein letztes Mal. Diesmal stiegen wir von Terskol aus hinauf zum Tschecket Tau, einen der umliegenden kleineren Berge. Von hier aus ist der Elbrus in seiner vollen Größe zu bewundern. Spätestens hier war uns klar, dass wir irgendwann an diesen Ort zurückkehren werden. Voller unvergesslicher Erlebnisse traten wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge die Heimreise an.
Im Nachhinein gedenken wir Axel und wünschen seiner Familie Kraft und Beistand in dieser schweren Zeit.