11.2017-01.2018 Eine Hommage an Douglas Tompkins Klaus-Jürgen Rennert
Wer zum Teufel ist Douglas Tompkins?, werden sich viele fragen, und was hat er im „Bergauf“ zu suchen? Aber fast jeder von uns hat eine indirekte Beziehung zu ihm: 1966 war er Mitbegründer der Firma The North Face und 1968 der Bekleidungsmarke Esprit. Seine North-Face-Anteile verkaufte er bereits nach drei Jahren, die von Esprit im Jahre 1989 an seine Ex-Ehefrau. Er zog von den USA nach Chile, wo er 1993 in zweiter Ehe die Ex-Chefin der Bekleidungsmarke Patagonia heiratete.
Karin und ich begegneten dort Anfang dieses Jahres seinem Wirken. Damit meine ich keinen Besuch in einem der in Chile zahlreichen North-Face-Filialen, sondern sein Engagement als Naturschützer. Mit seinem Vermögen erwarb er im Süden Argentiniens und Chiles im Laufe einiger Jahre insgesamt 10 000 km² Land, um es vor Naturzerstörung zu schützen. Er stieg damit zum größten Privatgrundbesitzer in Chile auf und war massiven Anfeindungen konservativer Kräfte ausgesetzt, die nationale wirtschaftliche Interessen bedroht sahen.
Ein herausragendes Naturschutzprojekt von Tompkins ist der Parque Pumalin in Patagonien. Wir besuchten ihn zum ersten Mal eher zufällig, gerade an einem der wenigen Regentage, die wir innerhalb unserer 10-wöchigen Chile-Reise hatten. Nach Wochen in der Atacama-Wüste mit ihrem unvermeidlichen Staub freuten wir uns besonders über die gepflegten Zeltwiesen mit individuell gestalteten Holzpavillons als Regenschutz. Am Rand unseres wahr gewordenen Traums vom idealen Zeltplatz begann der undurchdringliche Urwald. Gut angelegte Pfade erschließen besonders sehenswerte Regionen. So lernten wir die letzten riesigen, etwa tausendjährigen Chilenischen Lärchen mit drei Meter Stammdurchmesser kennen und bestiegen die weite Caldera eines für erloschen gehaltenen Vulkans, in dem es 2008 zu überraschenden Ausbrüchen kam. Ein neuer Vulkankegel ragt nun 200 m über den alten Kraterrand. Die Asche sorgte damals für einem Schlamm- und Schuttstrom, der zur Evakuierung der Stadt Chaitén führte. Ein Teil der Bevölkerung ist mittlerweile zurückgekehrt und damit wohl die Absicht der Regierung gescheitert, die Stadt 10 km entfernt neu zu errichten.
Es war ein tiefes Erlebnis für uns, die Kräfte der Natur zu erleben. Seit Mitte Dezember 2017 war die einzige Straßenverbindung in den Süden Patagoniens durch einen Schlammstrom, der 22 Todesopfer forderte, verschüttet. Die einspurige Freilegung der Carretera Austral dauerte bis Ende Februar. Für diese zweieinhalb Monate bezahlte die Regierung eine Fährverbindung, die in den Süden führte. Nach Freigabe der geräumten Straße gehörten wir zufällig zu den ersten, die auf ihr wieder nach Norden fahren konnten. Fassungslos sahen wir die Dimensionen der Zerstörung.
Im Norden Chiles staunten wir über die bunten Gesteine an fünf- oder sechstausend Meter hohen, kahlen Vulkanen und im Süden über vergletscherte Berge und riesige glasklare Seen ohne Motorbootverkehr. Die Erschließung Chiles im wüstenhaften Norden wie im kühlen Süden schreitet seit fast 500 Jahren voran. Die Ausmaße des Straßenbaus erschienen uns angesichts des außerhalb der Städte minimalen Verkehrs stark übertrieben, oder auf weit in der Zukunft liegende Verhältnisse orientiert. Die Bemühungen von Douglas Tompkins um den Naturschutz haben das Umweltbewusstsein im Land geschärft und werden dadurch hoffentlich noch weit in diese Zukunft wirken.
Vor einigen Jahren war ein bemerkenswertes Interview in der von Globetrotter herausgegebenen Zeitschrift 4-Seasons mit Yvon Chouinard, dem Chef der Outdoormarke Patagonia, an das ich mich erinnerte, weil es sich mit der Meinung Tompkins deckt. Unter Anderem sagte er:
„Fürchten wir uns so sehr vor der Natur, dass wir Angst haben, nass zu werden? Was ist falsch daran? Man spürt die Natur, und man stirbt nicht. Ich stelle zwar all diese Hightech-Kleidung her, aber persönlich versuche ich, mir das Leben einfacher zu machen. Vor zwei Jahren war ich zusammen mit Doug Tompkins […] in Chile. Wir bestiegen den höchsten Berg in einem neuen Nationalpark, für den wir uns bei Patagonia engagieren. Da waren einige junge chilenische Bergsteiger dabei, die alles über uns wussten. Einer hatte auch mein Eiskletter-Buch von 1978 gelesen. Und eines Tages schaute er mich an und sagte: Yvon, ich muss dich mal was fragen: Ich weiß, dass dir Patagonia gehört – wie kommt es dann, dass du so einen Scheiß anziehst? Ich war verblüfft und sah an mir runter: Ich trug eine 20 Jahre alte Regenhose und sogar einige Sachen, die schon 1968 am Fitz Roy mit dabei waren.“
In einem Interview im „Spiegel“ im Juli 2017 setzte er noch eins drauf: Er wolle lieber die Umwelt schonen als Gewinne machen. Seine Kunden fordert er auf, sich möglichst nichts Neues mehr zu kaufen. Spinnt der Mann? Nein, wir sollen etwas kaufen, was sehr lang hält. Das deckt sich mit Tompkins Meinung, der den Praktiken der Textilindustrie und denen des Kapitalismus zunehmen kritisch gegenüberstand. Doch äußern kann sich Tompkins nicht mehr. Er starb im Dezember 2015 an den Folgen einer Unterkühlung nachdem sein Kajak im patagonischen Lago General Carrera bei einem plötzlich aufgetretenen Unwetter gekentert war.
Die oben zitierte Meinung über das Nass-Werden scheint durch dieses tragische Unglück widerlegt zu sein. Aber natürlich kommt es auf die Aktivität an. Chouinard sagt im gleichen Interview: „Vielleicht 10 Prozent von uns brauchen sie [die perfekte Ausrüstung] wirklich. 90 Prozent wollen sie nur haben. Aber so ist das: Verkaufe ich eine Kletterjacke, verkaufe ich einen Traum. Und selbst wer die Jacke nicht dazu benutzt, einen Berg zu besteigen, kann davon träumen, es irgendwann einmal zu tun.“