08.2018 Albanien: eine Reise voller Überraschungen Klaus-Jürgen Rennert
Wer von uns weiß eigentlich etwas über Albanien? Rund 2,8 Millionen Einwohner leben dort, es ist etwas kleiner als das Land Brandenburg und eines der wasserreichsten Länder Europas. 43 Jahre war das Land isoliert und beherrscht von Enver Hoxha. Über 700.000 Bunker ließ er im Land errichten, wo bis zu 3 Mal pro Monat Übungen (meist morgens um 4 Uhr) mit den Bewohnern durchgeführt wurden. Das totale Religionsverbot verbunden mit der Zerstörung aller Kirchen und Moscheen oder deren Fremdnutzung führte dazu, dass Hoxha 1967 Albanien zum „ersten atheistischen Land der Welt“ erklärte. Heute ist das friedliche Zusammenleben zwischen den Religionen eine Selbstverständlichkeit. Nicht die Religion, sondern die Liebe entscheidet über eine Eheschließung. Übrigens stammte Mutter Teresa aus Albanien und wird sehr verehrt. Und im Gegensatz zu Deutschland hat man überall ein Telefonnetz. Einen WLAN-Zugang bekommt man in jedem Ort. Ein Land, in dem sich der Individualtourist total sicher fühlen kann. Ab 1990 durften sich die Albaner erstmalig privat Autos kaufen und in großen Städten herrscht nun starker, manchmal chaotischer Verkehr.
Ein Tipp von Österreichern, dass Albanien eines der besten Länder in Europa ist, wo man sein Offroadauto so richtig ausfahren kann, brachte uns auf die Idee, dorthin zu reisen. Aber nicht nur das war unser Anliegen. Land und Leute wollten wir kennenlernen und haben uns im August die 1600 km auf den Weg gemacht. Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Albanien – jedes dieser Länder hat eine Staatsgrenze und man reist ständig ein und aus. Da ist Geduld gefragt. Manchmal waren wir die Einzigen und manchmal warteten wir eine Stunde an den Grenzübergängen.
Im Norden gibt es die stark verkarsteten Albanischen Alpen mit bis zu 2751 m hohen Kalkbergen. Um diesen Bergen nahe zu kommen, sollte man ein Geländeauto haben (sagen wir). Albaner sind die Strecke nach Theth auch mit einem Mercedes ohne Rücksicht auf Verluste gefahren. Wir hatten dort drei wunderbare Tage mit anspruchsvollem Wandern im steilen Gelände und tollen Begegnungen. Dass Gastfreundschaft ein hohes Gut in diesem Land ist, erlebten wir u.a., als wir unser Auto an einem kleinen einfachen Haus abstellten, um zum Wasserfall „Blue Eye“ zu wandern. Eine kleine alte Frau mit Kopftuch kam heraus, stellte sich mit Handschlag mit ihrem Namen vor, sagte „Maria Guide“ und marschierte flott los über Zäune, durchs Gebüsch und wir hinterher mit dem mulmigen Gefühl, was will sie dafür? Als der Weg klar war, gab sie uns freundlich zu verstehen, dass wir immer geradeaus laufen müssten und zurück bei ihr zum Kaffee vorbeikommen sollten. Wir sind zum Kaffee gegangen und bekamen vor einem einfachen Haus mit wackeliger selbstgezimmerter Bank und Tisch den leckersten Kaffee, den ich je getrunken habe, in einer kleinen Sammeltasse serviert. Unser Besuch erfreute den Ehemann, der schon den Raki austeilte. Wir sprachen nicht die gleiche Sprache, trotzdem prosteten wir uns zu und jeder freute sich. Um unsere Gastgeber nicht zu beleidigen, aber um trotzdem etwas Gutes zu tun, gaben wir Maria etwas Geld für ihre Begleitung und dafür nahm sie es auch gerne an.
Wir reisten durch ein Land der großen Widersprüche: Orte mit sehr alten, manchmal armseligen Häusern und viel Müll, aber auch sehr moderne, junge Städte, wo man das Müllproblem schon deutlich besser im Griff hat. Leider gibt es Gebiete an der sogenannten Albanischen Riviera, wo die Immobilienhaie hemmungs- und planlos ein Apartmenthaus nach dem anderen hochziehen, ohne überhaupt einen Nutzer zu haben. Oder riesige angefangene Hotelkomplexe im Rohbau verschandeln seit Jahren die Landschaft.
Beeindruckt haben uns die Weltkulturstädte Berat und Gjirokastra. Dort hat die kommunistische Herrschaftszeit keine Zerstörungen angerichtet. Touristen ziehen durch die Gassen und Straßen und können sich ab dem frühen Abend über die vielen Albaner wundern, die gut gekleidet zum allabendlichen Xhiro unterwegs sind. Ob Jung oder Alt, man flaniert in der Fußgängerzone, Kinder toben zwischen den Erwachsenen. Man trifft sich mit Nachbarn und Freunden, sitzt in Bars und Cafés oder auf einer der vielen Bänke. Eine schöne Tradition, die das soziale Miteinander fördert, Menschen vielleicht weniger allein sein lässt. In manchen Orten werden abends sogar extra Straßen dafür gesperrt. Unser Suhler Steinweg wäre ab 17 Uhr richtig gut gefüllt?!
Albanien – ein Land, das eine Reise wert ist, wenn man sich einlassen möchte auf die zurückhaltenden, hilfsbereiten Menschen, den nicht immer ganz perfekten Komfort an manchen Zeltplätzen, neugierig ist auf Weltkulturerbestädte, auf tolle Landschaften, Lust hat auf wildes Campen (das überall erlaubt ist), Nationalparks, die ihre Wanderstrukturen gerade aufbauen, Ursprünglichkeit und erstaunliche Moderne.