Januar/Februar 2000 Klaus Wahl
„Der Charakter, wie ihn das Gehen im Hochgebirge ausbilden soll, äußert sich nicht bloß im Wagen, sondern auch im Entsagen!“ (Ludwig Purtscheller 1849-1900)
1. Tag
Palmen am Indischen Ozean, 500 Kilometer mit dem Zug und 200 Kilometer mit dem Taxi sind nicht gerade der übliche Beginn einer Tour zum Mount Kenya, dem zweithöchsten, aber angeblich schönsten Berg Afrikas. Doch es ist eine Möglichkeit, recht viel von dem Land Kenia kennenzulernen. Allerdings lassen die hohen Temperaturen in Äquatornähe und afrikanische Lebensverhältnisse solch ein Unternehmen nicht erst im Gebirge schon recht anstrengend werden. 13 Stunden Zugfahrt von Mombasa nach Nairobi in der Nacht auf einer über 100 Jahre alten Bahnverbindung sind kein Vergnügen. Dass auf dieser Strecke hin und wieder Züge entgleisen und größere Tiere auf dem Gleis auch zu unliebsamen Begegnungen führen sowie der Hinweis des Wagenpersonals auf mögliche Diebstähle (Ausrauben der Abteile) geben dieser Reise sicher etwas Abenteuerliches. Und die nächtlichen Halts an irgendwelchen Bahnhöfen in der Wildnis, an denen meist jüngere Einheimische von den wenigen Reisenden der Ersten Klasse ein paar Schillinge erbetteln wollen, und die äußerst langsame Fahrt des Zuges durch die Slums von Nairobi nimmt man auch mit gemischten Gefühlen wahr.
Am Taxistand scheinen wir die einzigen Europäer zu sein. Inmitten hunderter Menschen, sichtbarem Elend und Schmutz hoffen wir schnellstmöglich einen fahrbaren Untersatz für unsere Weiterreise zu finden. Irgendwie gelingt uns das schließlich. Das Taxi (Matatu), welches unserem TÜV ganz sicher hätte die Haare zu Berge stehen lassen, bringt uns und 5 weitere Insassen (es ist sehr eng) mit ständig überhöhter Geschwindigkeit von Nairobi über 190 km afrikanisches Hochland nach Naru Moru Village. Da stehen wir nun mit unseren 3 großen Ruck- bzw. Packsäcken, umringt von einer Schar Einheimischer, die alle unsere Porter (Träger) sein wollen. Es ist nicht ganz leicht, die Übersicht zu behalten. Doch schließlich landen wir im „Mountain View Hotel“, wo sich auch ein Bergführerbüro befindet. Dort können wir dann in aller Ruhe einen Vertrag über 7 Tage Mount Kenya Nationalpark (2 Träger, Übernachtung im Zelt, Parkgebühr) abschließen. Nun geht es ans Einkaufen der Verpflegung. Angeblich soll es in dem Ort alles geben und in Begleitung einiger Einheimischer finden wir dann auch den Weg in den „Supermarkt“. Es dauert nicht lange, bis eine Tüte mit viel zu vielen Lebensmitteln gefüllt ist, die später einen dritten Träger erforderlich macht. Auch eine Plastikflasche für einen zusätzlichen Liter Benzin für den Kocher treiben wir noch auf. Wenn übrigens die wenigen Autos nicht gewesen wären, hätte man denken können, in einer Wildweststadt des vorigen Jahrhunderts zu sein. Nun warten wir ab, bis uns ein Jeep zum Park-Gate bringen wird. Nach zwei Stunden, in Afrika muß man viel Zeit haben, ist es dann soweit. 15 Kilometer Sandpiste, bei Regen unpassierbar, in hohem Tempo zurückgelegt, lassen uns wiederum erleichtert aus einem einheimischen Fahrzeug aussteigen. Erneutes Warten am Park-Gate, ein Träger fehlt noch. In 3 Stunden wird es dunkel, und bis dahin wollen wir es unbedingt zur Met(eorologischen)-Station schaffen. Im Dunkeln durch den Urwald und dann auch noch Zelt aufbauen, dazu haben wir keine Lust. Paul (nennen wir ihn mal unseren Chefträger) sagt, dass Dieter und ich ruhig alleine schon losgehen können. Und so begeben wir uns auf einer Lehmpiste hinein in den Bergurwald. Die Landschaft zu beiden Seiten des Weges ist ein Erlebnis und auch ein wenig spannend. Immerhin soll es hier außer Affen und bunten Vögeln auch Elefanten, Büffel, Waldschweine, Leoparden und auch hin und wieder Löwen geben. Von Schlangen ganz zu schweigen. Affen und Vögel zeigen sich, die anderen haben wohl Angst. Wolken am Himmel bringen ein paar Regentropfen, die sich aber glücklicherweise nicht zum tropischen Gewitterguss entwickeln. Nach einer Stunde überholen uns unsere Träger. Es ist nun mal so, dass Träger mit schweren Lasten meist schneller sind, als diejenigen, die diese tragen lassen. 700 Höhenmeter – und die Met-Station ist erreicht. Das erste Lager auf 3050 m Höhe. Ein Platz für das Zelt findet sich schnell. Und nach einem kurzen Abendbrot und kurzer Dämmerung ist es auch schon stockdunkel. Nur ein paar Tiere wollen noch nicht schlafen.
2. Tag
Zelt und Wiese sind von einen Reifschicht überzogen. Aber Minusgrade in der Nacht und tropische Hitze am Tag sind auch in Äquatornähe in diesen Höhen normal. Das nächste Ziel heißt Mackinders-Camp, 1300 Meter weiter oben, 5 bis 6 Stunden Gehzeit. Zuerst wieder tropischer Regenwald, diesmal allerdings auf einem schmalen Pfad. Die zunehmende Höhe lässt die Gehgeschwindigkeit gegenüber dem Vortag etwas zurückgehen. Nach zwei Stunden lichtet sich der Wald ein wenig und wird durch eine Baumheidelandschaft abgelöst. Nach und nach werden hohe Bäume und Pflanzen immer seltener. Wir haben das größte Waldschutzgebiet Kenias hinter uns. Die Blicke in die unendlichen afrikanischen Weiten mehr als 1000 Meter weiter unten machen uns unsere Winzigkeit immer wieder deutlich. Riesensenecien, mehr als 3 Meter hoch, und Riesenlobelien, säumen jetzt den Weg durch das Hochlandmoor. Büschel von Tussok-Gras verhindern, dass die Schuhe allzu sehr im Schlamm versinken. Bei Regen soll dieser Weg eine Tortour sein. Vereinzelt erblicken wir gelbe, rote und weiße Blüten und auch ein paar bunte Vögel.
Plötzlich taucht am Horizont der felsige Doppelgipfel des Mount Kenya auf, ein phantastischer Anblick. Vor uns liegt jetzt das weite Teleki-Valley und weit hinten das Camp. Doch es geht nicht mehr wesentlich nach oben, so dass das Gehen immer gleichzeitig auch ein Schauen und Staunen ist. Ständig haben wir unser Ziel vor Augen, vergletscherte Hänge unter dem Gipfel, grüne Senecien so weit das Auge reicht. Die ersten Klippschliefer, murmeltierähnlich, aber nicht mit diesem verwandt, sondern mit dem Elefanten, huschen über die Felsen. Mackinders-Camp war einst Lagerplatz des bekannten englischen Alpinisten Halford Mackinder, der auch durch seine Erstbesteigungen in diesem Gebiet bekannt wurde. Unser Zelt stellen wir in der Nähe der Teleki Lodge auf, einem Steinbau, in dem auch übernachtet werden kann. Schwere Steinbrocken ersetzen die Heringe beim Befestigen der Zeltschnüre. Die Träger finden Unterkunft in einer eigens für sie errichteten Hütte. Wasser gibt es aus einem Rohr, vom Gletscherbach zum Camp geleitet und nachts zugefroren. Die vier Holzhäuschen für notwendige menschliche Bedürfnisse sind gar nicht mal so übel. Wir verbringen einen geruhsamen Nachmittag und Abend mit Herumschlendern und Gesprächen mit Bergsteigern aus Südafrika, den USA, England und Kenia. Ein unvergesslicher Sonnenuntergang auf 4300 Meter Höhe lässt den Tag zu Ende gehen.
3. Tag
Akklimatisationstag. Wir wollen zur Two Tarn Hut aufsteigen, eine Hütte bei zwei Seen, wie wir dachten. Es stellt sich aber heraus, dass hier in etwa 4500 Meter Höhe nur diese two Tarns (zwei Seen) existieren und immer noch Riesensenecien über 3 Meter hoch. Dazu die traumhafte Lage direkt unter dem 5199 Meter hohen Batian-Gipfel mit seinen großen Hängegletschern. Wir haben genug Zeit zum Ausruhen und Fotografieren. Die Äquatorsonne brennt zwar unbarmherzig vom Himmel, aber es ist trotzdem recht kalt. Langsam steigen wir wie durch eine Mondlandschaft wieder hinab ins Camp und bereiten uns auf den folgenden Tag vor. Interessante Gespräche mit Bobby, einem Extremkletterer aus den USA, lassen den Rest des Tages schnell vergehen.
4. Tag
Nun soll es weiter nach oben gehen, mit dem Ziel Austrian Hut auf 4750 Meter Höhe. Das ist kein weiter Weg, aber die Sonne und die zunehmende Höhe sorgen dafür, dass wir uns Zeit lassen. Der Point Lenana, dritter Gipfel des Mount Kenya, taucht allmählich über dem Lewis Gletscher auf. Er ist das Ziel aller Trekker in diesem Gebiet, fast 5000 Meter hoch.
In einer „Steinwüste“ finden wir eine ganz brauchbare Stelle, um das Zelt aufzustellen. Was nun noch anstellen den Rest des Nachmittages? Natürlich, wegen des Point Lenana waren wir auch gekommen. Also schnell ein paar Kleinigkeiten in den Rucksack und los geht es. Es ist nicht weit vom Lager, vielleicht eine Stunde oder ein bisschen mehr, und es ist auch nicht besonders schwer. Wir genießen die Superaussicht auf die umliegenden gewaltigen Täler bis hin zum 300 Kilometer entfernten Kilimandscharo. Und wir sind alleine auf dem Gipfel, über uns nur Nelion und Batian, die höchsten Berge in Kenia, die zweithöchsten in ganz Afrika. Nelion und Batian waren einst Söhne des großen Häuplings Ngai des Kikuyu-Stammes.
Abstieg. Die bunte Zeltstadt ist inzwischen gewachsen. Bergsteiger und Trekker aus aller Herren Länder haben sich eingefunden. Die meisten wollen sicher den viel gerühmten Sonnenaufgang auf dem Point Lenana erleben, einige auch auf den Nelion oder Batian klettern. Auf den Nelion wollen Dieter und ich auch, klar, am liebsten auch auf alle beide. Doch schon der sogenannte Normalweg durch die Südostwand auf den Nelion ist eine hochalpine Kletterroute bis zum 4. Schwierigkeitsgrad auf fast 5200 Meter führend. Das soll uns als Ziel eigentlich reichen.
In Eugen, einem Bergführer aus der Schweiz mit Achttausender-Erfahrung (u.a. K2) sowie Mount-Kenya-Kenner, und Axel aus Hamburg haben wir zwei Partner gefunden, die am nächsten Tag uns vorausgehen wollen. Somit ist die Routenfindung sicher einfacher und gegenseitige Hilfe wäre auch möglich.
5. Tag
Aufbruch 4.30 Uhr. Im Dunkeln suchen wir bei Stirnlampenlicht einen gangbaren Aufstieg auf den Lewis-Gletscher. Dieser ist noch hart gefroren und in einer halben Stunde mit Steigeisen an den Schuhen problemlos überquert. Ein steiles und sehr rutschiges Geröllfeld muss noch überwunden werden, bevor wir endlich am Einstieg des Nelion stehen. Die fast senkrechte unübersichtliche Felswand, die scheinbar ohne Ende in den blauen Himmel ragt, wirkt im ersten Moment sehr abweisend. Überflüssige Ausrüstung wie Steigeisen und feste Bergschuhe deponieren wir in einer Felsspalte. In zwei Zweierseilschaften geht es dann endlich los. Von oben ertönt das Pfeifen eines herabfallenden Steines. Ein Gruß von Bobby und seiner Partnerin, die schon einige Zeit vor uns eingestiegen waren.
Die ersten Seillängen, 19 sollen es insgesamt sein, gestalten sich nicht besonders schwierig. Doch Eugen und Axel, wir beide, zwei Engländer und drei Franzosen, das bedeutet auch hin und wieder Stau an den Schlüsselstellen. Das Sauerstoffdefizit in fast 5000 Metern Höhe macht sich beim Klettern schon bemerkbar, wenn man hin und wieder vergebens nach Griffen und Tritten sucht. Plötzlich ruft Axel laut von oben: „Achtung, Stein!“ Dieter und ich drücken uns an den Fels und kurz danach schlägt mit großer Wucht ein Stein auf meinen Helm. Als es dann warm in meinem Genick wird und meine linke Hand blutig vom Hinfassen ist, bekomme ich einen ziemlichen Schreck und sehe mich schon einer Bergrettungsaktion ausgeliefert. Da ich aber noch handlungsfähig bin, scheint die Sache vielleicht doch nicht ganz so schlimm auszusehen. Ich entledige mich rasch des Helmes, der mir zum ersten mal das Leben gerettet hat, hole Verbandszeug aus dem Rucksack und wickele mir notdürftig eine Binde um den Kopf. Erst einmal muss die Blutung gestillt werden. Dieter befindet sich ein paar Meter weiter unten. Eugen und Axel steigen von oben herab. Es stellt sich heraus, dass ich eine kleine Platzwunde, eine riesige Beule und etwas Brummen im Kopf habe. Eugen legt einen neuen Verband an und wir beschließen zu viert abzusteigen bzw. abzuseilen. Da sitzen wir nun wieder am Einstieg. Axel entschuldigt sich tausend mal, denn er hatte den Stein los getreten. Alles hat gestimmt, das Wetter, unsere Verfassung und dann ein kleiner Fehltritt. Ich denke, es war richtig umzukehren. Mit einer Kopfverletzung ist nicht zu spaßen und die Bergrettung in Kenia funktioniert nicht so wie die in den Alpen. Beim Abstieg über das Geröllfeld müssen wir alle noch einmal Deckung hinter einem größeren Felsblock suchen. Irgend jemand hat wieder einen Steinschlag ausgelöst, nicht am Nelion, aber dafür lawinenartig. Glücklicherweise kommen die Steine genug weit weg von uns zum Stillstand. Eugen lässt sich aber doch zu ein paar Schimpfkanonaden hinreißen. Dass er und Axel mit abgestiegen sind und uns bis zum Lager bei der Austrian Hut begleiten, ist ihnen hoch anzurechnen.
Da Dieter und ich nicht noch eine Nacht so weit oben bleiben wollen, beschließen wir, bis zur Met-Station hinunter zu gehen. Nach der Anstrengung des Vormittages nun noch 1700 Meter Abstieg. Doch ich fühle mich trotz geringer Kopfschmerzen einigermaßen fit und will auch nicht noch mal im Mackinders Camp übernachten.
Der Weg scheint kein Ende zu nehmen, aber gegen Abend erreichen wir die Station und mieten uns ein Bankhouse – eine Blockhütte. Obwohl ziemlich erschöpft, kann ich von einem erholsamen Schlaf nicht sprechen. Es muss wohl doch eine kleine Gehirnerschütterung sein, die ich davongetragen habe.
6. Tag
Bei wunderschönem Wetter laufen wir wieder durch den Bergurwald, lassen die üppige Natur auf uns einwirken. Die weißen Schneefelder des Mount Kenya erheben sich über dem grünen Dach des Waldes. So ähnlich muss den Berg auch der deutsche Missionar Johann Ludwig Krapf gesehen haben, dem niemand glaubte, dass es am Äquator Schnee gibt, und der aus dem einheimischen „Kirinyaga“ das Wort Kenya machte.
Wieder müsste man sich etwas mehr Zeit nehmen. Ich fühle mich schon wesentlich besser und würde manchmal lieber umgekehren. Ein Jeep der British Army bringt uns vom Parkeingang ein Stück des Weges. Mit einem vom Mount Kenya Safari Club geht es weiter zur Naru Moru River Lodge. Unterwegs erhalten wir noch für 10 Dollar die obligatorische Urkunde für die Besteigung des dritthöchsten Mount-Kenya-Gipfels. In der Lodge mieten wir uns eine recht komfortable Hütte und genießen alle Annehmlichkeiten dieses idyllisch gelegenen Platzes, vom Swimming Pool mit Blick auf den Mount Kenya bis zum schmackhaften Essen. Bier aus Kenia gibt es natürlich auch und man kann es sogar trinken.
7. Tag
Früh wartet ein Taxi an der Lodge, von dem wir glauben, dass es schon voll besetzt ist. Aber nein, sowohl wir zwei als auch unser Gepäck finden noch Platz. Abends um sieben beginnt dann wieder die 13-stündige Zugfahrt zurück nach Mombasa.
Nach ein paar Badetagen unter Palmen am Indischen Ozean und einer 2-Tages-Safari durch den Tsavo-East-Nationalpark (so ziemlich die ganze afrikanische Tierwelt) ist die Reise nach Kenia beendet.
Informationen
Beste Jahreszeit: Dezember bis März
Die Besteigung des Mount Kenya wird in der Regel von Nairobi aus begonnen. Reiseveranstalter kombinieren die Tour aber oft mit ein paar Badetagen am Indischen Ozean und/oder mit einer Safari in einen der Nationalparks Kenias.
Die preiswerteste individuelle Variante
- Flug Frankfurt – Nairobi; mit dem Taxi nach Naru Moru (ca. 200 km)
- Übernachtung in der Naru Moru River Lodge; dort oder in Naru Moru (Mountain View Hotel) Träger, ggf. Koch anheuern;
- Zu Fuß oder mit dem Jeep zum Eingang des Mount Kenya Nationalparkes (18 km); dort anmelden und Gebühren (auch für Übernachtung) entrichten; weiter zur Met-Station (8 km) und Übernachtung in Zelt oder Hütte;
- Zum Mackinders Camp (4200 m) etwa 14 km und 5-6 Std., zur besseren Akklimatisation Ruhetag einlegen (wird sehr oft unterlassen, ernste Höhenprobleme sind nicht selten);
- Aufstieg zur Austrian Hut (4750 m) in ca.2-3 Std.; Point Lenana (4985m) kann leicht bestiegen werden; Nelion (5188 m) und Batian (5199 m) können nur durch anspruchsvolle Kletterei bestiegen werden