Psst! Moskus! Skadi & Matthias Michalowski
In der jüngeren Vergangenheit war es angeraten, die Kreise der Urlaubsziele enger als üblich zu ziehen. Haben wir bis zum März 2019 geglaubt, “Paddeln in Schweden“ und „Wandern in Norwegen“ geht irgendwie immer, waren wir dieses Jahr mit Herannahen des Urlaubstermins zunehmend unsicher, ob die geplante zweite Variante denn funktionieren würde. Umso glücklicher waren wir, als wir den Fährhafen in Oslo in Richtung Berge verlassen durften.
Eines unserer Ziele war das Dovrefjell. Wir wussten, dass die Landschaft dort sehr offen und karg ist und das der Nationalpark trotz verkehrstechnisch einfacher Anbindung nicht sehr frequentiert sein würde. Es erwartete uns also ein eher ursprüngliches Naturerlebnis. Wir besuchten bei der Anreise die Aussichtspunkt-Hütte der Snøhetta, eine architektonisch krasse Sehenswürdigkeit und verbrachten die erste Nacht bei ordentlich Frost auf dem Campingplatz in Hjerkinn.
Dann ging es endlich los: über Snøheim liefen wir auf den höchsten Berg der Region, eben die Snøhetta, zu. Aufgrund des grandiosen Wetters entschlossen wir uns am Nachmittag spontan zur Besteigung. Bei glockenklarem Himmel stiegen wir in T-Shirts auf den schnee- und eisbedeckten Gipfel. Mit dem Dunkelwerden schafften wir es gerade wieder zurück zu unserem Gepäck. Erst Tage später wurde klar, wie richtig unsere Entscheidung war. Den Berg haben wir, als treuen Begleiter unserer Wanderung, nie wieder offen und schon gar nicht in der Sonne gesehen. Am nächsten Tag wechselten wir in das Amotsdal, bauten am See unsere Zelte auf und ließen uns in der offenen Talsohle bei Nieselregen ordentlich durchblasen. Im weiteren Verlauf überschritten wir einen Pass und gelangten ins Tal der Stropla. Vorbei an den Reinheimen-Hütten erreichten wir wieder Landschaften mit nennenswerter Vegetation.
Bei Planung (und Vorfreude) auf die Wanderung hatten wir auf zwei Dinge gehofft: die herbstliche Färbung der Flora im September und, mit ganz viel Glück, die Sichtung von Moschusochsen, den Wahrzeichen des Dovrefjell-Nationalparkes.
Und siehe: Da!!!
Von Weitem sehen wir mehrere dunkle Punkte, pirschen uns auf den Minimalabstand von 200 Metern ran und beobachten die Tiere durch eigens dafür mitgeschleppte Ferngläser. Überglücklich (Kieling hat zwei Wochen nach ihnen gesucht!) bleiben wir auf einer Wiesenböschung sitzen als ein Norweger in Gummistiefeln und mit Angelrute im Rucksack angestapft kommt und sofort lospoltert: wo wir hinwollen, wo er herkommt, wo er (für seine Katze!) angeln will und wie das Wetter wird und, und, und… Psst! Leise! Da drüben sind „Moskus“! Er schaut nicht mal hin, sagt nur, das er heute schon 24 Stück gesehen hätte, grüßt nochmal und lässt uns fassungslos zurück. Tatsächlich sahen wir in den nächsten zwei Tagen immer wieder Gruppen und einzelne Männchen, die darauf hoffen, im Kampf mit einem anderen Bullen dessen Harem zu übernehmen. Auch wenn wir wirklich viele sahen, auch von nahem, weil die Tiere trotz unserer Anwesenheit unbeirrt ihrer Wege gegangen sind, ließ die Faszination nicht nach. Ehrfürchtig kosteten wir jede der Begegnungen aus. Hinsichtlich der Aufenthaltsorte der Moschusochsen waren wir zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Im Spätsommer sind die Kälbchen mittlerweile so selbstständig, das die Muttertiere das schützende Hinterland verlassen und in die Täler ziehen, die mehr Futter und mildere Witterungsbedingungen bieten.
Auch für Tageswanderer war es in diesen Tagen praktisch unmöglich, erfolglos von einer Moschusochsen-Suche heimzukehren.
Am Weiler Kongsvoll (mit Gleis-Anschluss und Bahnhof) erreichten wir wieder die Straße, schliefen erneut auf dem Campingplatz in Hjerkinn und mussten vor der nächsten Wanderung im Rondane-Nationalpark einen „Schnäppchentag“ in Otta einlegen. Ein Paar Hanwag-Wanderschuhe hatte unterwegs beide (!) Schuhsohlen abgeworfen und ihr Innenleben preisgegeben. (Im heimischen Keller stehen nun ein Paar reparierte – wie neu – und ein Paar ganz neue und sehr wertvolle Wanderstiefel nebeneinander).
Als Fazit waren wir mit der Wahl unserer Wanderung ausgesprochen glücklich. Wer die spektakuläreren, aber mittlerweile auch gut besuchten Sehenswürdigkeiten in Norwegen kennt oder umgehen möchte, wird im Dovrefjell-Nationalpark seine Freude finden. Das Ursprüngliche, Offene und irgendwie Ehrliche der Elemente ist gut dazu geeignet, den Besucher zu erden und den Fokus auf das Wesentliche des Seins zurück zu justieren.
Corinna, Skadi, Jan & Matthias