13.05.2017 Wanderung in Lehesten Sabine Schmelzer
Sigrid Beck hatte die Mitglieder des Alpenvereins Suhl eingeladen, am 13. Mai mit nach Lehesten zu kommen, um den Thüringer Schieferpark an der thüringisch-bayerischen Grenze kennen zu lernen. Dort erwartete uns eine interessante Führung durch den Schieferpark. Das blaue Gold, wie der Schiefer genannt wird, hat Lehesten berühmt gemacht. Wir lernten die Geschichte des ältesten Schieferbruchs Thüringens (13. Jh.) kennen, der 1999 stillgelegt wurde. Außerdem erhielten wir Einblick in das Leben und die schwere Arbeit der Bergleute sowie das Handwerk und die Techniken der Dachdecker. Schließlich ist Lehesten, das historische Zentrum des Thüringer Dachschieferbergbaus, auch bekannt für die älteste Dachdeckermeisterschule Deutschlands (1910), die auch heute noch die Dachdeckerschieferkunst lehrt. Ein Modelldorf zeigte uns die Entwicklung des Dachdeckerhandwerks. Im Anschluss an die informative aber auch unterhaltsame Führung wanderten wir bei wechselhaftem Wetter um den Schiefersee, betrachteten die moos- und birkenbewachsenen Halden und Biotope. Unsere Wanderung führte uns weiter durch den Wald zum neuen Altvaterturm am Wetzstein (792 m). Dieser Turm wurde von vertriebenen Heimatfreunden aus dem Altvatergebirge errichtet als ein Mahnmal gegen Vertreibung, ein Ort der Versöhnung, eine touristische Erinnerungs- und Begegnungsstätte am südöstlichen Rennsteig. In den Gasträumen nahmen wir eine Brotzeit ein und waren dabei von der großen Bierauswahl begeistert. Anschließend wanderten wir zu unseren Autos zurück. Es war ein abwechslungsreicher und interessanter Tag mit vielen neuen Eindrücken. Auf alle Fälle ist dieser Ausflug eine Empfehlung für alle, die diese Gegend mit ihrer Geschichte noch nicht kennen.
Wetterbericht von der Frühlingswanderung im Schieferpark Lehesten Andreas Kuhrt
Die angebliche Frühlingswanderung im Schieferpark Lehesten war irgendwie zum Vergessen, jedenfalls für Einige von uns und zu Anfang… Es fing schon damit an, dass Dirk uns anrief, ob wir bisschen Geld dabei hätten, er hätte seins vergessen. Da saßen wir um 9 gerade beim Frühstück. Dass heute Schieferparkwandertag war, hatten wir komplett vergessen. Dabei war der Abfahrttermin aus museumsführungstaktischen Gründen gerade auf 8 Uhr vorverlegt worden (ist aber auch eine unmenschliche Zeit Sonnabend Nacht).
Der Schieferpark ist ein 2009 endgültig eingestellter Schieferbergbau (seit dem 13. Jh.) bei Lehesten im Thüringer Schiefergebirge in Sichtweite zum bayerischen Frankenwald. Die noch erhaltenen Anlagen (wie Kaue, Göpel, Spalthütte, Förderturm und Maschinenhaus) im Staatsbruch wurden zum Schieferpark gemacht, am Bruch 2 wurden 1993 die vorhandenen Bauten als technisches Denkmal eingerichtet, der große Tagebau Kießlichbruch füllte sich zum Schiefersee auf, der umliegende Wald wurde als Naturschutzgebiet Staatsbruch ausgewiesen.
Ein bisschen aus der Geschichte des technischen Denkmals Schieferpark Lehesten (damit man weiß, wo man eigentlich war): Schon vor dem 13. Jh. wurde der an der Erdoberfläche herausragende Schiefer als wetterschützende Bauverkleidung gebrochen. 1485 wurde erstmals eine Schieferlieferung von 47 Fuhren zum Schlossbau Teuschnitz belegt. Im 16. Jh. wurde Schiefer auf Pferdefuhrwerken bis nach Saalfeld, Erfurt, Heldburg, Wien, Würzburg, Frankfurt am Main und sogar Hamburg geliefert. So sind beispielsweise die Türme des Würzburger Domes mit Schiefer aus Lehesten gedeckt (14. Jh.), die Dächer des nahen Teuschnitzer Schlosses (1485), der Kaiserburg Wien, der Heidecksburg Rudolstadt, des Rathauses Saalfeld sowie des Heldburger Schlosses (1563). Zur Schiefergewinnung haben die Männer mit Schlegel und Eisen die Schieferplatten von seitlichen Schlitzen aus rausgebrochen, auch Frauen und Kinder mussten die Schutte (rund 95 % waren Abfall) in Kiepen zur Halde abtransportiert. Im 17. Jh. wurden etwa 900 t Dachschiefer und 100.000 Schiefertafeln (in Heimarbeit geschliffen) produziert. 1792 arbeiteten im inzwischen 40 m tiefen Tagebau 50 Schieferknechte. 1805 wurde der Alte Bruch (Bruch 1) zum herzoglicher Schieferbruch, 1841 wurde der Bruch 2 erschlossen. 1845 wurde eine Göpelschachtanlage mit 2 Pferden zum Emporhieven des Gesteins aus dem Schieferbruch gebaut (seit 1865 durch eine Dampfmaschine angetrieben, Anfang des 20. Jh. durch Elektroantrieb). 1877 arbeiteten im Herrenbruch 586 Leute, zusammen mit dem Oertelsbruch fast 2000. Die Lehestener Schieferbrüche bildeten den größten Schiefertagebau Europas. Ab 1920 wurde der Schiefertagebau Thüringer Staatsbruch. Im Grenzgebiet der DDR (nur etwa 500 m bis Bayern) beschäftigte der VEB Schiefergruben Lehesten bis 1961 noch fränkische Schieferarbeiter aus dem „Westen“ mit Sondereinreiseerlaubnis. Erstklassiger Dach- und Wandschiefer war ein Exportprodukt. Ab 1974 wurde der zur Neige gehende Tagebau durch ein neues Bergwerk erweitert, in dem bis 1999 auf verschiedenen Sohlen Schiefer abgebaut wurde, mit zeitweise über 300 Beschäftigten. Die Treuhand-Nachfolgegesellschaften hatten keine Perspektive und so wurde die Arbeit 1999 eingestellt. Der Bruch 2 wurde 1964 stillgelegt. Das heutige technische Denkmal konnte nur mit Mühe und Engagement vor dem Verfall gerettet werden. Die in Europa einmalig erhaltene Göpelschachtanlage wurde zwar als Industriedenkmal 1979 restauriert, aber die verfallene Doppelspalthütte (von 1898) sollte bei einer Übung von Kampfgruppen, Feuerwehr und Zivilverteidigung abgerissen werden, was im letzten Moment verhindert wurde. Anfang 1980 wurde auch die Doppelspalthütte in die Industriedenkmalliste der DDR aufgenommen. 1993 wurde hier auf Initiative des ehemaligen Betriebsleiters Werner Liebeskind das technische Denkmal Schieferpark Lehesten eröffnet. Nach 1999 wollten mehrere Investoren den ganzen ehemaligen Schieferbruch zu einem Lern- und Erlebnispark mit Besucherbergwerk, Gaststätte, Hotel, Ferienwohnungen und Reiterhof entwickeln, gingen aber durch niemals realisierbare Besucherzahlen (600/Tag) pleite. Das Schaubergwerk wurde 2001 eröffnet, 2006 wurden die Entwässerungspumpen abgestellt und Stollen und Tagebauloch wurden bis 2008 zum Schiefersee geflutet, der über 40 m tief ist. „Heute sind die entscheidenden damaligen Produktionsstätten auf dem Staatsbruch in das Eigentum der Stiftung „Thüringischer Schieferpark Lehesten“ überführt, die mit ihren bescheidenen finanziellen Mitteln dieses Erbe des über 800-jährigen Industriekulturerbes Thüringens für die Nachwelt erhalten will.“ (Mehr Informationen: www.schiefer-denkmal-lehesten.de | slon.diamo.cz/… | www.untertage.com/…)
Wir jedenfalls haben’s mit Bleifuß und guter Kurventechnik bis halb 11 zum 2. Museumsführungsteil der Kernspaltung, ach nee, Schieferspaltung geschafft. Unser Schieferführer Peter Langbein (spielt auch eine Rolle in „Das Blaue Gold von Lehesten“ vom MDR, 2016) hat im lockeren Schnelldurchlauf Einiges über Schieferbergbau und -verarbeitung vorgetragen und -geführt (nur das Schieferspalten ging schiefer, als gedacht). Die vorerst letzten Sonnenstrahlen wurden an der Eingangstür zum Museum abgegeben. Als es danach zur Wanderung um den Schiefersee und zum Altvaterturm ging, waren die Wolkentürme zwar imposant, aber kein gutes Vorzeichen. Man könnte es gutwillig als Wasserwanderung bezeichnen, realistisch würde man den Prasselregen Scheißwetter nennen. Aber ein paar lichte Momente zeigten doch mal, wie schön es sein könnte: das frischeste Frühlingsbirkengrün um einen überblauen Schiefersee (das kommt vom aus dem Schiefergestein gelösten Alaun). Und überall Schiefer… Knapp 2 km um den See herum über die Schieferhalden jahrhundertelangen Abbaus kam man zum letzten bis 1999 betriebenen Schieferbergwerk, wo die Schieferpark Gäste GmbH seit 2016 ein ökologisches Seminar- und Tagungszentrum mit Hotel, Gästehaus und Appartments betreibt und ein paar Unternehmen versuchen, das Beste aus den vorhandenen Bergbauten zu machen. (Mehr Informationen: schieferpark.de)
Dann ging es auf Waldwegen noch 2 km weiter zum Altvaterturm auf dem Wetzstein. Der wurde 1999-2002 vom sudetendeutschen Heimatvertriebenen-Altvaterturmverein anstelle des 1979 im DDR-Grenzgebiet (für einen militärischen Horchposten) gesprengten Bismarckturms gebaut. Der neue Altvaterturm auf dem Wetzstein ist eine Kopie des ursprünglich im Altvatergebirge auf dem Praděd (Altvater) stehenden Turms, der 1903-12 im neogotischen Burgstil gebaut wurde, zuerst Habsburgwarte, später Altvaterwarte und Adolf-Hitler-Turm hieß, schließlich 1959 mangels Nutzung und Erhaltung einstürzte. Am und im Turm erinnern Mahntafeln und Stadtwappen ehemaliger deutscher Siedlungen an die Vertreibung der deutschen Bevölkerung nach dem 2. Weltkrieg (mehr Informationen: www.altvaterturm.de). Jedenfalls hat der Altvaterturm auch eine Kneipe im Untergeschoss, wo der freundliche Wirt mit 30 Sorten Bier auf durstige Besucher wartet. Über die Bohnensuppe will ich nur soviel sagen, dass die 3 Euro für einen Turmaufstieg sicher besser angelegt wären (wenn auch teuer). Vom Altvaterturm gings dann durch den Wald bei inzwischen frühlingshaftem Wetter wieder zum Schieferpark zurück.
Um halb 3 wollten Manu und ich aber noch nicht nach Hause, sondern noch ein bisschen umhergucken und vielleicht was zu Essen finden. Da wir nicht zur Familienfeier gehörten, gabs für uns leider nichts im Hotel „Kaue“. Im Modelldorf beim technischen Denkmal haben wir uns die niedlichen Zwergenhäuschen angesehen, an denen die Schieferdeckerschule in Lehesten ihre Ausbildung demonstriert. Jedes Jahr wird ein neues Modellhaus beim Bergmannsfest vorgestellt und mit dem Umzug zum Schieferpark gebracht, wo sich inzwischen ein kleines Schieferdecker-Dorf angesammelt hat. In Lehesten ist natürlich alles vom Vogelhäuschen über Briefkästen bis zur Kirche verschiefert. Aber auch gastronomisch sah’s ganz schön finster aus: „Heute geschlossen“, „Wegen Rente geschlossen“, „Wegen Geschäftsaufgabe geschlossen“… Weil inzwischen die Sonne strahlte, als sei nichts gewesen, wollte ich den Schiefersee auch mal bei Lichte besehn. Das sah wirklich klasse aus, wie im Bilderbuch. Und was zu Essen haben wir auch noch gefunden: im Hotel „Schieferhof“ in Neuhaus am Rennweg war es zwar brechend voll, aber die Chefin hatte noch ein Plätzchen in der Bar gefunden und es gab nette Bedienung und tolles Essen, gar nicht zum Vergessen, sondern in guter Erinnerung.